A.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

2. Sofortige Fälligkeit in Sonderfällen?

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Umstritten ist, ob sich die Bestimmung der Leistungszeit in Einzelfällen auch aus der allgemeinen Norm des § 271 BGB ergeben kann. Hier ist normiert, dass die Leistung sofort zu erfolgen hat, wenn die Leistungszeit weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist. Grundsätzlich ist § 106 VVG als spezieller versicherungsvertraglicher Norm vorrangig anwendbar. Dies wird z.T. schon aus dem Wortlaut der Norm gefolgert.[1]

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Beispiel:

Das versicherungsnehmende Unternehmen befindet sich in einem langwierigen Rechtsstreit im Rahmen dessen die Höhe des geltend gemachten Schadenersatzanspruches streitig ist. Es zeichnet sich die Beendigung des Prozesses durch den Abschluss eines Vergleiches ab. Der prozessführende Versicherer ist an der angestrebten Lösung inhaltlich maßgeblich beteiligt. Muss er nach Abschluss des Vergleiches für die daraus geschuldete Summe unmittelbar aufkommen oder wird der Anspruch auf Freistellung erst nach zwei Wochen fällig?

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Legt man § 106 VVG dem Sinn entsprechend aus, so wird deutlich, dass der Zweck der zweiwöchigen Frist (Überprüfung der Begründetheit) immer dann entfällt, wenn der Versicherer dem Anerkenntnis oder dem Vergleich bereits zugestimmt oder diese sogar selbst vorgenommen hat. Gleiches gilt für den Fall, dass ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Dieses entfaltet, selbst wenn der Versicherer am Prozess nicht teilnimmt, auch nach der VVG-Reform entsprechend der bis dato geltenden Rechtsprechung bei Voraussetzungsidentität Bindungswirkung für den Deckungsprozess.[2]

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Es ist nicht ersichtlich, warum der Versicherer in dieser Situation, entgegen § 271 BGB, nicht sofort leisten muss und insofern anderen Schuldnern gegenüber bevorzugt wird.[3] „Sofortige“ Fälligkeit i.S.v. § 271 BGB bedeutet, dass der Schuldner so schnell leisten muss, wie es ihm objektiv (unter Zubilligung etwaiger Vorbereitungshandlungen) möglich ist.[4] Bei einer Pflicht zur sofortigen Leistungserbringung dürfte von einer Leistung des Versicherers noch vor Ablauf der sonst geltenden Zwei-Wochen-Frist des § 106 ausgegangen werden. Es erscheint daher geboten, die Fälligkeitsregelung des § 106 teleologisch auf solche Fälle zu reduzieren, in denen Versicherer an Anerkenntnis bzw. Vergleich nicht mitgewirkt hat oder das Haftpflichturteil für ihn nicht bindend ist. Ob der Versicherer dabei den Rechtsschutz übernommen hat, ist nicht relevant. Hat er an Anerkenntnis bzw. Vergleich nicht mitgewirkt, muss es ihm zugebilligt werden, die Höhe seiner Leistungsverpflichtung zu überprüfen.

Von dieser Annahme ausgehend, wäre auch im Beispielsfall eine sofortige Leistungserbringung durch den Versicherer geboten.

 

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[1]   H. Baumann in Berliner Kommentar, § 154 Rn. 4; a.A. Lücke in Prölss/Martin, § 106 Rn. 13; Schneider, § 154 S. 442.

[2]  Im Einzelnen umstritten: eine Bindungswirkung bejahend Harsdorf-Gebhardt in Späte/Schimikowski, Ziffer 5 AHB Rn. 67 ff. m.w.N.; Klimke r+s 2014, 105, 108; Schlegelmilch VersR 2009, 1467; gegen eine Bindungswirkung, soweit der Versicherer am Haftpflichtprozess in nicht vorwerfbarer Weise nicht beteiligt war: Langheid VersR 2009, 1043, 1045 f., Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 106 Rn. 16; eine Bindungswirkung bei Nichtbeteiligung des VR ablehnend OLG Frankfurt/M. r+s 2011, 207.

[3]   Lücke in Prölss/Martin, § 106 Rn. 13.

[4]   Krüger in Münchener Kommentar zum BGB, § 271 Rn. 32.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, A. Rn. x

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