A.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

c) Widerrechtlichkeit, Beweislast und Abdingbarkeit

Anforderungen an widerrechtliches Handeln

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Der Versicherungsnehmer muss nicht nur vorsätzlich, sondern darüber hinaus auch widerrechtlich gehandelt haben, damit der Versicherer leistungsfrei ist. Dies gilt auch dann, wenn die AHB dem Vertrag zugrunde liegen, obwohl Ziff. 7.1 nicht von Widerrechtlichkeit spricht.[1]
Widerrechtlich handelt der Versicherungsnehmer, wenn sein Handeln nicht gerechtfertigt ist. Zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe ergeben sich z.B. nach den §§ 228, 904 Satz 1 BGB (Notstand). Häufig ist die Widerrechtlichkeit schon Voraussetzung für das Entstehen eines Schadenersatzanspruches. In diesem Fall erfolgt eine Prüfung innerhalb des Haftungsprozesses. Haftet der Versicherungsnehmer aber wegen reiner Gefährdungshaftung auf Schadenersatz (eine Gefährdungshaftung ist z.B. die Tierhalterhaftung in § 833 Satz 1 BGB), so ist die Widerrechtlichkeit erst im Rahmen des Deckungsprozesses zu prüfen.

Beweislast und Abdingbarkeit

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§ 103 VVG ist nicht zwingend und kann durch AGB oder individualvertraglich abbedungen werden. So kann beispielsweise zugunsten des Versicherungsnehmers vereinbart werden, dass der Versicherer erst bei Handeln mit direktem Vorsatz (dolus directus 1. oder 2. Grades) leistungsfrei wird. Gleichzeitig kann eine vertragliche Regelung auch vorsehen, dass der Versicherer schon bei milderen Schuldformen von seiner Leistungspflicht befreit wird.[2] Wird eine solche Abrede in AGB getroffen, sind aber die Grenzen der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB zu beachten. Die Klausel könnte wegen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Leitbild des § 103 VVG unwirksam sein, vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

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§ 103 VVG sieht zunächst eine Beschränkung der Leistungspflicht für den Versicherer ausschließlich bei Vorsatztatbeständen vor. Der Leitbildcharakter der Norm ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber für die Haftpflichtversicherung bewusst eine von § 81 Abs. 2 VVG, der eine teilweise Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit vorsieht, abweichende Regelung getroffen hat. Wird der Versicherungsnehmer also beispielsweise durch eine Regelung, die Leistungsfreiheit schon bei grober Fahrlässigkeit vorsieht, unangemessen benachteiligt, so ist diese nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

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Möchte der Versicherer sich auf Leistungsfreiheit berufen, so muss er den Vorsatz des Versicherungsnehmers beweisen.[3] Die Beweispflicht bezieht sich auf die vorsätzliche Handlung und die vorsätzliche Schadenherbeiführung. Ein Anscheinsbeweis reicht für den Nachweis des Vorsatzes nicht aus,[4] da es sich um innere individuelle Vorgänge handelt[5].

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Im Gegenzug muss der Versicherungsnehmer solche Tatsachen beweisen, die der Annahme von Vorsatz entgegenstehen.[6]

Ziffer 7.2 AHB

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Bedeutung besitzt für Unternehmen der Risikoausschluss in Ziffer 7.2 AHB. Ausgeschlossen von der Versicherung sind danach

Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden dadurch verursacht haben, dass sie in Kenntnis von deren Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit

–     Erzeugnisse in den Verkehr gebracht oder

–     Arbeiten oder sonstige Leistungen erbracht haben.“

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Ausreichend für den Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers ist bereits die bloße Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit einer Ware oder Dienstleistung. Vorsatz bezogen auf einen schädigenden Erfolg muss nicht vorliegen. Auch dieser Ausschluss ist eng auszulegen. Unter "alle Personen" fallen sowohl der Versicherungsnehmer selbst als auch mitversicherte Personen. Der Versicherungsnehmer oder eine andere versicherte Person muss positiv von der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit gewusst haben, damit Ziffer 7.2 AHB eingreift. Von positiver Kenntnis ist immer dann auszugehen, wenn die betreffende Person damit rechnet, dass die Ware bei ordnungsgemäßem Gebrauch und unter normalen Umständen schädliche Wirkung entfalten kann.[7] Das Vorliegen der positiven Kenntnis ist vom Versicherer zu beweisen. An die Beweiserbringung sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Grund dafür ist die Gleichstellung mit der vorsätzlichen Schadenherbeiführung.[8]

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Ziffer 7.2 gilt im oben genannten Beispiel des Lebensmittelherstellers, der wissentlich Fleisch trotz überschrittenen Haltbarkeitsdatums für seine Fertiggerichtsproduktion verwendet, für den Versicherungsnehmer sowie für mitversicherte Personen, die aufgrund des Einschlusses in den Versicherungsumfang einen eigenen Anspruch auf Versicherungsschutz haben können. Hat z. B. ein Mitarbeiter in der Produktion bewusst die Verarbeitung des Fleisches veranlasst, verliert er als versicherte Person seinen Versicherungsschutz nach Ziff. 7.2 AHB. Ist nicht nur einem Mitarbeiter, sondern vielmehr einem Repräsentanten oder Organ des Versicherungsnehmers Kenntnis bezogen auf den Eintritt des schädigenden Verhalten nachzuweisen, so entfällt der Versicherungsschutz auch für den Versicherungsnehmer selbst.[9]

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Entscheidend ist, dass der Versicherungsnehmer bei wissentlicher Auslieferung einer mangelhaften oder schädlichen Ware bereits alles seinerseits Mögliche und Nötige getan hat, um einen Versicherungsfall herbeizuführen. Die mit Ziffer 7.2 AHB verbundene Konkretisierung des Vorsatzes auf die Kenntnis des Versicherungsnehmer ist damit für Waren und Dienstleistungen als Sonderfall interessengerecht ausgestaltet. Ziffer 7.2 AHB dürften damit mangels einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers keine AGB-rechtlichen Bedenken entgegenstehen.  

 

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[1]   Langheid in Römer/Langheid, § 103 Rn. 15; Lücke in Prölss/Martin, § 103 Rn. 1, 15; AHB § 7 Rn. 4; Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 103 Rn. 10 m.w.N.

[2]   So ausdrücklich Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 85.

[3]   Langheid in Römer/Langheid, § 103 Rn. 5.

[4]   BGH VersR 1988, 683; siehe auch H. Baumann in Berliner Kommentar zum VVG, § 152 Rn. 28 ff.; ferner Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, § 103 Rn. 5 mit Angabe verschiedener von der Rspr. entschiedener Verhaltensweisen.

[5]   OLG Hamm r+s 2004, 145, 147.

[6]   Z.B. Zurechnungsunfähigkeit, zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 827 BGB im Versicherungsrecht vgl. BGH NJW 1990, 2387. 

[7]   Vgl. dazu BGH VersR 1952, 64; ähnlich auch OLG Hamm r+s 1993, 294.

[8]   Lücke in Prölss/Martin, AHB § 7 Rn. 15. 

[9]   OLG Karlsruhe VersR 2003, 987.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, A. Rn. x

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