A.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

1. Was versteht man unter "unternehmerischer Tätigkeit"?

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§ 102 Abs. 1 Satz 1 VVG setzt voraus, dass die Versicherung „für ein Unternehmen“ besteht. Damit weicht die Formulierung von der alten, vor der VVG-Reform geltenden Fassung ab, die vom „geschäftlichen Betrieb“ des Versicherungsnehmers sprach. Die Neufassung dient der Angleichung der Terminologie an § 1 HGB als Kernvorschrift des Unternehmens- und Handelsrechts.[1] Dies könnte den Schluss zulassen, dass der Anwendungsbereich des § 102 Abs. 1 VVG auf den Kaufmann nach § 1 Abs. 1 HGB beschränkt werden sollte.[2] Eine Verengung des Anwendungsbereiches des § 102 VVG dürfte mit der neuen Terminologie jedoch nicht verbunden sein. Insbesondere würde der Ausschluss von betrieblichen Versicherungen für freiberufliche Tätigkeiten zu zweifelhaften Ergebnissen führen.

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Beispiel:

Ein Arzt schließt eine Haftpflichtversicherung ab. Findet § 102 VVG auf diese Versicherung keine Anwendung, besteht kein Versicherungsschutz für medizinische oder technische Assistenz. Das gleiche Ergebnis würde für Büroangestellte eines Rechtsanwaltes gelten.

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Für den Begriff des „Unternehmens“ gibt es demnach keine einheitliche rechtliche Definition. Er ist vielmehr nach dem Zweck und Leitgedanken des § 102 Abs. 1 Satz 1 VVG zu beurteilen.[3]

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§ 102 Abs. 1 Satz 1 VVG soll einheitlichen Versicherungsschutz für den Unternehmensträger (z.B. Kapitalgesellschaft) und die für das Unternehmen handelnden Personen gewährleisten. Der einheitliche Versicherungsschutz ist wesentlich für die Sicherung der Fortführung des Unternehmens. Auch für die mitversicherten Personen, für die in ihrer Eigenschaft als angestellte Personen i.d.R. eine eigenständige Betriebshaftpflichtversicherung nicht offeriert wird, ist der gemeinsame Versicherungsschutz von nachhaltiger Bedeutung. Unter Beachtung dieses Normzwecks ist der Unternehmensbegriff i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 1 VVG weit zu verstehen und auszulegen.

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Unter Zugrundelegung des Verständnisses von § 151 Abs. 1 VVG a.F. ist bei jeder fortgesetzten Tätigkeit, die sich als Beteiligung am Wirtschaftsleben darstellt und sich in einem nach außen selbstständigen, von der privaten Sphäre des Inhabers getrennten Lebensbereich vollzieht, von einer unternehmerischen Tätigkeit i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 1 VVG auszugehen.[4] Diese Begriffsbestimmung ähnelt der zivilrechtlichen Unternehmensdefinition des § 14 BGB. Danach liegt die Unternehmenstätigkeit in einer selbstständigen, auf gewisse Dauer angelegten und auf planmäßiges Anbieten entgeltlicher Leistung am Markt gerichteten Tätigkeit. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich.[5] Auch die allgemeine Intention der Neufassung des VVG zur Verbesserung der Transparenz und zur Stärkung der Stellung des Versicherungsnehmers[6] spricht für ein weites Verständnis des Unternehmensbegriffs.

 

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[1]   Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 102 Rn. 5; siehe dazu auch Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 85.

[2]   Siehe Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 85.

[3]   Zur Bestimmung des jeweiligen Unternehmensbegriffs Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, Einl. v. § 1 Rn. 31.

[4]   Vgl. BGH VersR 1962, 33.

[5]   So Ellenberger in Palandt, § 14 Rn. 2; Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 102 Rn. 5; ferner der BGH zumindest für den Verbrauchsgüterkauf NJW 2006, 2250, 2251.

[6]   Zur Intention des Gesetzgebers Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 1.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, A. Rn. x

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