B.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

1. Unter welchen Voraussetzungen ist eine Kündigung möglich?

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  • Anerkenntnis des Versicherers als Kündigungsgrund, § 111 Abs. 1 Satz 1 VVG

Regelmäßig erkennt der Versicherer den Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers durch Leistung der Schadenersatzzahlung an den Dritten an. Unter „Anerkennen“ ist sowohl die förmliche Anerkenntniserklärung des Versicherers als auch ein rein tatsächliches Verhalten seinerseits dem Versicherungsnehmer gegenüber zu verstehen. Dieses Verhalten muss von dem Bewusstsein zeugen, aufgrund des Vertrages zur Versicherungsleistung verpflichtet zu sein und den Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers erfüllen zu wollen.[1] Liegt ein solches „Anerkenntnis“ vor, kann das Versicherungsverhältnis gekündigt werden. Gleiches gilt, wenn der Versicherer im Deckungsprozess rechtskräftig verurteilt oder ein (außer)gerichtlicher Vergleich geschlossen wurde.[2]

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  • Unberechtigte Anspruchsablehnung des Versicherers als Kündigungsgrund, § 111 Abs. 1 Satz 1 VVG

Verweigert der Versicherer die Leistung zu Unrecht, so können beide Parteien das Versicherungsverhältnis kündigen. § 111 entscheidet durch den eindeutigen Wortlaut zu Unrecht“ die bis zur VVG-Reform strittige Frage, ob jede Leistungsverweigerung des Versicherers – berechtigt und unberechtigt – einen Kündigungsgrund darstellt.[3] Versicherer und Versicherungsnehmer sind zur Kündigung nur befugt, wenn der Freistellungsanspruch dem Versicherungsnehmer rechtlich zusteht.[4] Im Gegensatz zur Vorgängervorschrift des § 158 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., die von der Ablehnung der fälligen Entschädigungsleistung sprach, erwähnt die Regelung des § 111 Abs. 1 Satz 1 VVG die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs nicht. Demzufolge ist davon auszugehen, dass für die Entstehung des Kündigungsrechts die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (vgl. § 106 VVG) nicht mehr entscheidend ist. Das Kündigungsrecht kann daher bereits in dem Moment entstehen, in dem der Versicherer den entstandenen, aber noch nicht fälligen Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers zu Unrecht ablehnt.[5] Der Haftpflichtversicherer wird aufgrund seiner Verpflichtung zur eindeutigen Erklärung des Versicherungsschutzes in der Regel eine ausdrückliche Ablehnung formulieren.

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  • Weisung des Versicherer als Kündigungsgrund, § 111 Abs. 1 Satz 2 VVG

Auch die Prozessanweisung des Versicherers stellt einen Kündigungsgrund dar. Ist der Versicherer der Ansicht, der geltend gemachte Haftpflichtanspruch des Dritten sei unbegründet, so kommt er seiner Hauptleistungsverpflichtung in Form der Anspruchsabwehr (§ 100 2. Alt. VVG) nach.[6] Dieser Abwehr des Anspruchs wird die Aufnahme des Schadenersatzprozesses durch den Dritten folgen. Der Versicherer beauftragt dann seinen Versicherungsnehmer, den Prozess zu führen.

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  • Eintritt des Versicherungsfalles

Grundvoraussetzung für die Entstehung des Kündigungsrechts ist weiter in allen genannten Varianten der Eintritt des Versicherungsfalles. Durch die ausdrückliche Erwähnung des Eintritts des Versicherungsfalles in § 111 Abs. 1 Satz 1 VVG soll die Voraussetzung der Anspruchserhebung des Dritten für die Entstehung des Kündigungsrechts verdeutlicht werden.[7] Denn nur geltend gemachte Schadenersatzansprüche sollen die Rechtsfolgen von § 111 VVG ermöglichen. Kein Kündigungsrecht besteht damit in solchen Fällen, in denen bloße Beschwerden oder Ansprüche geltend gemacht werden, die dem Grunde nach nicht vom Versicherungsschutz erfasst sind. In diesen Fällen wird der Versicherer den Freistellungsanspruch auch selten anerkennen bzw. den Versicherungsnehmer zur Prozessaufnahme anweisen.[8] Dogmatisch lässt sich darüber hinaus anführen, dass der Freistellungsanspruch nur entstehen kann, wenn der Versicherungsnehmer zuvor dem Dritten gegenüber nach § 100 haftpflichtig geworden ist. Dies setzt primär den Eintritt des Versicherungsfalles voraus. So ist im Begriff des Freistellungsanspruchs der Eintritt des Versicherungsfalls im Sinne eines den Versicherungsfall auslösenden Ereignisses schon zwingend enthalten: ohne den Eintritt des Versicherungsfalles kann ein Freistellungsanspruch schlichtweg nicht entstehen. Ob der Versicherungsfall eingetreten ist, bemisst sich nach wie vor objektiv nach den jeweiligen vertraglichen Abreden.[9] Zwingende zusätzliche Voraussetzung ist aber die Anspruchserhebung des Dritten. Dadurch soll eine Begrenzung der Kündigungsmöglichkeit auf den materiellen Anspruchsbereich der angesprochenen Haftpflichtversicherung (nach § 100 VVG) bewirkt werden, da der Versicherungsnehmer sich ansonsten jederzeit das Recht zur Kündigung verschaffen könnte.[10]

Kündigungsgründe nach den AHB

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Nach Ziffer 19.1 AHB kann das Versicherungsverhältnis dann gekündigt werden, wenn vom Versicherer eine Schadenersatzzahlung geleistet worden ist oder dem Versicherungsnehmer eine Klage über einen unter den Versicherungsschutz fallenden Haftpflichtanspruch gerichtlich zugestellt wird. Außerordentliche Kündigungsgründe sind damit

  • die Zahlung des Versicherers und
  • die gerichtliche Zustellung der Klage des Haftpflichtanspruches an den Versicherungsnehmer.
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Der in § 111 VVG ausdrücklich genannte Kündigungsgrund des Anerkenntnisses ist der Zahlung des Versicherers immanent und damit in die AHB aufgenommen worden. Nach der Regelung der AHB ist die Anweisung des Versicherers zur Prozessführung nicht notwendig; für eine Kündigung reicht bereits aus, dass die Klage zugestellt worden ist.[11]

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Es findet sich jedoch keine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der unrechtmäßigen Ablehnung des Versicherungsschutzes als Kündigungsgrund, die § 111 Abs. 1 Satz 1 2. Alt VVG entspricht. Der Kündigungsgrund einer unberechtigten Ablehnung der Freistellung durch den Versicherer wird in den AHB allerdings auch nicht ausgeschlossen. Solange die Vertragsparteien nicht ausdrücklich vereinbaren, dass die unberechtigte Anspruchsablehnung des Versicherers gerade keinen Kündigungsgrund darstellt, gilt diesbezüglich die gesetzliche Regelung des § 111 VVG.[12]

 


[1]   OLG Schleswig VersR 1968, 487, 488 mit Verweis auf OLG Hamburg VersR 1950, 132; ausführend H. Baumann in Berliner Kommentar, § 158 Rn. 13; Lücke in Prölss/Martin, § 111 Rn. 4.

[2]   H. Baumann in Berliner Kommentar, § 158 Rn. 13; Koch in Bruck/Möller, § 111 Rn. 10; Langheid in Römer/Langheid, § 111 Rn. 4.

[3]   Vgl. zum Streitstand vor der VVG-Reform einerseits Voit/Knappmann in Prölss/Martin, 27. Aufl. 2004, § 158 Rn. 3; andererseits H. Baumann in Berliner Kommentar, § 158 Rn. 17 f.; Johannsen in Bruck/Möller, 8. Aufl. 1970, Bd. IV, Anm. D 18.

[4]   Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 87; Lücke in Prölss/Martin, § 111 Rn. 6; Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 111 Rn. 8.

[5]   So auch Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 111 Rn. 7.

[6]   Siehe zu weiteren Einzelheiten Langheid in Römer/Langheid, § 111 Rn. 8 f.

[7]   Koch in Bruck/Möller, § 111 Rn. 7; Schneider, § 158 S. 450.

[8]   Harsdorf-Gebhardt in Späte/Schimikowski, Ziffer 19 AHB Rn. 4.

[9]   Langheid in Römer/Langheid, § 111 Rn. 3.

[10]   Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 16/3945 S. 87; Kummer in Terbille/Höra, § 12 Rn. 322. 

[11]   Harsdorf-Gebhardt in Späte/Schimikowski, Ziffer 19 AHB Rn. 1.

[12]   Den Ausschluss des Kündigungsrechts für den Fall der unberechtigten Deckungsablehnung in AHB für bedenklich haltend Harsdorf-Gebhardt in Späte/Schimikowski, Ziffer 19 AHB Rn. 3 m.w.N.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, B. Rn. x

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