B.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

4. Welche Bedeutung hat das Kündigungsrecht bei Serienschäden?

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Die Ausgestaltung des Rechts auf Kündigung ist dann von besonderer Bedeutung, wenn weitere Schäden auf Seiten des Versicherungsnehmers zu erwarten sind. Typischerweise ist dies bei sog. Serienschäden der Fall. Bei Serienschäden führt ein gleichartiger Produktfehler oder ein bei mehreren Abnehmern auftretender gleichartiger Mangel einer Leistung des Versicherungsnehmers zu einer Vielzahl (= Serie) von Schäden.

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Beispiel:

Aufgrund eines unerkannten Fehlers in der Produktion liefert der versicherungsnehmende Kinderbetthersteller über mehrere Monate instabile Hochbetten an Möbelhäuser aus, die dort verkauft werden. Nach Eintritt des ersten Schadens versucht der Versicherer sich von dem Versicherungsvertrag zu lösen, da er davon ausgeht, dass die gesamte Produktserie mangelbehaftet ist. Kann er den Vertrag kündigen?

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Dem Interesse des Versicherers an der Lösung vom Vertrag steht das Interesse des Versicherungsnehmers an kontinuierlichem Versicherungsschutz entgegen. Ist dem Versicherer die Kündigung nach Eintritt des ersten Schadens möglich, so würde der Versicherungsnehmer für alle nach Beendigung des Vertrages eintretenden Schäden ohne Versicherungsschutz da stehen. Der Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages zur Versicherung der noch zu erwartenden weiteren Schäden einer Serie wird dem Versicherungsnehmer aufgrund der bekannten und bereits gesetzten Ursachen in der Regel nur schwer möglich sein.

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Der Möglichkeit einer Kündigung nach Eintritt des ersten Schadens einer Serie stehen daher erhebliche Bedenken entgegen. Grund dafür ist u.a., dass die AHB in Ziffer 6.3 selbst festlegen, dass „mehrere während der Wirksamkeit der Versicherung eintretende Versicherungsfälle“ zu einem Versicherungsfall zusammengefasst werden sollen. Dieser Versicherungsfall gilt dann als „im Zeitpunkt des ersten dieser Versicherungsfälle eingetreten“. Alternative Serienschaden-Klauseln finden sich z.B. auch in der erweiterten Produkthaftpflichtversicherung. Dabei besitzt die Zusammenfassung mehrerer Schadenereignisse zu einem Versicherungsfall in AHB zunächst Bedeutung für die Versicherungssumme.[1] Die Versicherungssumme steht pro Serienschaden, der nunmehr als ein Versicherungsfall gilt, nur einmal zur Verfügung. Dies kommt dem Versicherer als Begrenzung seiner Leistungsverpflichtung zugute.[2] Mit Blick darauf kann es dem Versicherer nicht auch noch möglich sein, sich bereits nach Eintritt des ersten Schadens von seiner Leistungsverpflichtung zu lösen. Zwar steht dem Versicherer (und auch dem Versicherungsnehmer) mit Eintritt des ersten Schadens das Kündigungsrecht zu. Der zu gewährende Versicherungsschutz für nach Beendigung des Versicherungsvertrages eintretende Schäden derselben Serie wird dadurch jedoch nicht eingeschränkt. Da es sich um einen Versicherungsfall handelt, muss der Versicherer ungeachtet der Kündigung und Beendigung des Vertrages auch für die späteren Teilschäden der Serie die geschuldete Versicherungsleistung bieten.[3]

 

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[1]   Vgl. dazu Harsdorf-Gebhardt in Späte/Schimikowski, Ziffer 19 AHB Rn. 8.

[2]   Lücke in Prölss/Martin, AHB § 19 Rn. 5.

[3]   Die Kündigung bei Serienschäden als rechtsmissbräuchlich einstufend, i.E. aber auch für das Bestehen des Versicherungsschutzes Lücke in Prölss/Martin, AHB § 19 Rn. 5.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, B. Rn. x

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