C.                          Schulze Schwienhorst                    Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016

I. Allgemeines zu § 109 VVG

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§ 109 Satz 1 VVG legt fest, dass Haftpflichtansprüche anteilig zu erfüllen sind, wenn der Versicherungsnehmer gegenüber mehreren Dritten haftet und die Summe der Haftpflichtansprüche zusammen die vereinbarte Versicherungssumme übersteigt. Jeder einzelne Haftpflichtanspruch wird verhältnismäßig gekürzt. Dritter i.S.v. § 109 VVG ist nicht nur jeder tatsächlich Geschädigte, der einen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer besitzt. Auch derjenige, auf den der Haftpflichtanspruch vollständig oder zum Teil übergegangen ist, etwa ein Sozialversicherungsträger oder auch die Erben des Geschädigten nach § 1922 BGB, ist Dritter i.S.d. Vorschrift.[1]

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Grundsätzlich sind alle Ansprüche gleichrangig; eine Ausnahme gilt nur dann, wenn unterschiedliche Versicherungssummen vereinbart worden sind, etwa für Sach- und Personenschäden. Dies unterscheidet die allgemeine Haftpflichtversicherung von der Pflichtversicherung. Im Pflichtversicherungsbereich ist eine Rangfolge der Ansprüche entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Anspruchsteller festgelegt (§ 118 VVG).[2] Durch die gesetzliche Anordnung der anteiligen Anspruchserfüllung in § 109 Satz 1 VVG soll die Begünstigung eines bestimmten geschädigten Dritten dagegen verhindert werden. Ohne die gesetzliche Regelung des § 109 Satz 1 VVG würde das in der Einzelzwangsvollstreckung geltende "Prioritätsprinzip" zur Anwendung kommen. Danach müsste der Versicherer zunächst denjenigen Dritten befriedigen, der sich den Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers zuerst gesichert hat.[3] Eine dem Prioritätsprinzip folgende Befriedigung würde aber dem sozialen Grundgedanken der Haftpflichtversicherung, dem Opferschutzprinzip, widersprechen.[4]

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Führt die Befriedigung eines geschädigten Dritten zur Erschöpfung der Versicherungssumme und erhebt danach ein bis dahin nicht aufgetretener Dritter einen Haftpflichtanspruch, bleibt dies dann unberücksichtigt, wenn der Versicherer mit der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht gerechnet hat und auch nicht rechnen musste (§ 109 Satz 2 VVG). Der Dritte, der nachträglich den Anspruch stellt, kann sich nicht auf die Vorschrift des § 108 Abs. 1 VVG berufen. Grundsätzlich wäre nach § 108 Abs. 1 VVG jede Verfügung des Versicherungsnehmers über den Freistellungsanspruch gegenüber dem auch nachträgliche Ansprüche stellenden Dritten unwirksam. § 109 Satz 2 VVG statuiert jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Die hier vorliegende Verfügung des Versicherers über den Freistellungsanspruch ist auch dem zu spät kommenden Dritten gegenüber wirksam.

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Die gesetzliche Vorschrift des § 109 VVG ist zwingend. Zwar wird die Unabdingbarkeit des § 109 VVG nicht ausdrücklich in der Vorschrift des § 112 VVG und der dazugehörigen Gesetzesbegründung angeführt. Jedoch könnte die vertragliche Abänderung des § 109 VVG zu einer Beeinträchtigung der Rechte der Dritten führen. Daher ist trotz fehlender Angabe des Gesetzgebers von der Unabänderlichkeit des § 109 VVG auszugehen.[5] Nach Ziffer 6.2 AHB erfolgt ferner eine sog. Maximierung der Versicherungssummen für das jeweilige Versicherungsjahr.[6] Zu beachten ist zunächst, dass Ziffer 6.2. AHB die Möglichkeit einer Begrenzung der Jahresmaximierung eröffnet. Unterbleibt eine solche Maximierung im Vertrag, muss der Versicherer "unbegrenzt maximiert" leisten. Er muss die Versicherungssumme dann theoretisch für eine unbegrenzte Zahl einzelner Versicherungsfälle pro Versicherungsjahr zur Verfügung stellen.

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Weiter kommt eine Auffüllung erschöpfter Versicherungssummen durch Anschlussversicherungen, sog. Exzedentenversicherungen, in Betracht. Bei höheren Versicherungssummen wird die Ersatzleistung des Versicherers oder der konsortial agierenden Versicherer häufig im Rahmen sog. Exzedentenversicherungen geboten. Regelmäßig wird vereinbart, dass die Versicherungssumme einer Anschlussversicherung zur Auffüllung einer erschöpften Versicherungssumme eines vorangehenden Versicherungsvertrages zur Verfügung steht („drop down“).

 

Zur Vertiefung:


[1]   BGH VersR 1975, 558, 569; Littbarski in Langheid/Wandt, § 109 Rn. 17; Sprung VersR 1992, 657, 662.

[2]   Ebenfalls feststellend Franz VersR 2008, 298, 308 f.

[3]   BGH VersR 1985, 1054, 1055; Schneider in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 24 Rn. 153.

[4]   Lange VersR 2014, 1413, 1424.

[5]   Lücke in Prölss/Martin, § 109 Rn. 22; so auch schon zum alten Recht Langheid in Römer/Langheid, § 156 Rn. 32 (2. Aufl. 2002).

[6]   Ziffer 6.2 AHB: „Sofern nicht etwas anderes vereinbart wurde, sind die Entschädigungsleistungen des Versicherers für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres auf das …-fache der vereinbarten Versicherungssummen begrenzt.“.

Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, C. Rn. x

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