C. Schulze Schwienhorst Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016
II. Allgemeines zur Insolvenz des Versicherungsnehmers
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Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, so wird dem geschädigten Dritten das Recht auf eine abgesonderte Befriedigung (§§ 50, 51 InsO) aus dem Freistellungsanspruch eingeräumt.[1] Das bedeutet, dass die Forderung zwar zur Insolvenzmasse gehört, dem geschädigten Dritten aber ein Vorzugsrecht mit Blick auf die Befriedigung zusteht.[2]
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Ein insolvenzrechtliches Aussonderungsrecht (vgl. § 47 InsO) besteht dagegen nicht. Dies hätte zur Folge, dass Gegenstand oder Recht schon gar nicht in die Haftungsmasse fallen.[3]
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Der vollständige Leistungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung steht im Eigentum des Versicherungsnehmers. Regelmäßig übersteigt die vereinbarte Versicherungssumme den Haftpflichtanspruch des Dritten betragsmäßig. Eine vollständige Aussonderung und Überweisung der gesamten Versicherungssumme erfolgt also nicht an den geschädigten Dritten. Nicht verbrauchte Versicherungssummen verbleiben in der Insolvenzmasse und stehen damit gegebenenfalls weiteren geschädigten Dritten zur Verfügung. Eine Aussonderung und Überweisung der nicht verbrauchten Versicherungssumme an den geschädigten Dritten wäre für diesen nicht von Nutzen, da es bezüglich der überschüssigen Summe an einem Freistellungsanspruch mangelt.[4] § 110 regelt nun gesetzlich, dass die Versicherungsleistung des Haftpflichtversicherers in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ausschließlich demjenigen zukommt, der durch den Versicherungsnehmer geschädigt worden ist. Es soll daher verhindert werden, dass die sonstigen Gläubiger durch den Eintritt des Versicherungsfalls einen Vorteil erhalten, indem sich die Haftungsmasse insgesamt erweitert.[5] Dies ergibt sich schon aus der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zugunsten des Dritten.[6]
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Kritisch wird das Recht auf abgesonderte Befriedigung vor dem Hintergrund betrachtet, dass die erbrachten Prämienzahlungen aus dem Vermögen des Versicherungsnehmers stammen und dementsprechend auch der Freistellungsanspruch gegen den Versicherer einen Bestandteil des Vermögens darstelle.[7] Der Freistellungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung als Passivenversicherung stellt allerdings nur einen durchlaufenden Vermögensbestandteil dar, der wirtschaftlich für den geschädigten Dritten bestimmt ist.[8] Durch die Regelung des § 110 VVG wird die auch vor der Reform des VVG geltende Rechtslage beibehalten. Nur derjenige Gläubiger kann die Zwangsvollstreckung betreiben, der Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch verlangen kann.
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Die Bedeutsamkeit der Regelung des § 110 VVG zeigt sich anhand des folgenden Beispiels:
Der Versicherungsnehmer haftet für einen Umweltschaden, dessen Manifestation erst Jahre später bekannt geworden ist. Der Zeitpunkt der Schadenmanifestation fällt in den Geltungsbereich eines Altvertrages. Mittlerweile musste der Versicherungsnehmer Insolvenz anmelden und ein Versicherungsschein steht nach Abwicklung der Insolvenz nicht mehr zur Verfügung, da die Unterlagen des versicherungsnehmenden Unternehmens nicht mehr vorhanden sind.
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Dem Dritten steht in diesem Fall in ergänzender Auslegung von § 3 VVG ein Recht auf Erteilung eines neuen Versicherungsscheines zu. Grund dafür ist, dass sich die Insolvenz für den Versicherer, der für das nun verwirklichte Risiko die vereinbarten Prämien bezogen hat, nicht privilegierend auswirken darf.
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Ein im Gesetzgebungsverfahren zunächst diskutierter Direktanspruch gegen den Versicherer wurde nicht umgesetzt. Direktansprüche bei Insolvenz des Versicherungsnehmers wurden auf Pflichtversicherungen nach dem Pflichtversicherungsgesetz beschränkt. Gleiches gilt für den Fall, dass der Aufenthaltsort des Versicherungsnehmers nicht bekannt ist, § 115 Abs. 1 VVG.
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§ 110 VVG kann durch vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer nicht abgeändert werden.[9] Die Unabänderlichkeit von § 110 VVG gewährleistet den Schutz des geschädigten Dritten, welcher mittels vom Gesetz abweichender vertraglicher Regelungen unterlaufen werden könnte.[10] Solche Regelungen würden jedoch auch regelmäßig einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritten darstellen.[11]
Zur Vertiefung:
- Eröffnung des Insolvenzverfahrens
- Geltendmachung des Rechts auf abgesonderte Befriedigung
- Folgen der Geltendmachung des Absonderungsrechts
[1] Auch H. Baumann in Berliner Kommentar, § 157 Rn. 1.
[2] Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 Rn. 12; Littbarski in Langheid/Wandt, § 110 Rn. 21.
[3] Vgl. zur Vertiefung sowie zu Ausnahmen Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 47 Rn. 11 ff.
[4] Zutreffend Schneider, § 157 S. 448.
[5] Ganter in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 51 Rn. 234.
[6] BGH NZI 2016, 580, 581; VersR 2015, 497.
[7] Vgl. Häsemeyer KTS 1982, 507, 535.
[8] Vgl. Schneider, § 157 S. 448.
[9] Langheid in Römer/Langheid, § 110 Rn. 5, Littbarski in Langheid/Wandt, § 110 Rn. 7, Retter in Schwintowski/Brömmelmeyer, § 110 Rn. 22.
[10] H. Baumann in Berliner Kommentar, § 157 Rn. 24.
[11] So die ständige Rspr. des BGH NJW 1995, 3183, 3184; 1981, 275, 276; 1974, 96.
Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, C. Rn. x
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