C. Schulze Schwienhorst Haftpflichtonlineportal, 1. Edition, Stand 31.07.2016
III. Allgemeines zum Rentenanspruch
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Beispiel:
Der Versicherungsnehmer ist Hersteller eines Narkosemittels. Bei intraarterieller Injektion des Mittels drohen irreparable Schäden, auf welche der Arzneimittelhersteller hinzuweisen verpflichtet ist.[1] Bei einer Operation spritzt der behandelnde Arzt einem Patienten versehentlich das Narkosemittel intraarteriell. Als Folge muss der Arm des Patienten amputiert werden. Der Arzneimittelhersteller, der seine Warn- und Hinweispflicht verletzt hat, ist dem Verletzten u.a. zur Zahlung einer Geldrente wegen der erlittenen immateriellen Schäden verpflichtet.[2]
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Schuldet der Versicherungsnehmer dem geschädigten Dritten die Zahlung einer Rente, so regelt § 107 VVG die Abwicklung der Leistung des verpflichteten Versicherers. Die Pflicht zur Rentenzahlung besteht langfristig. Daher ist der Geschädigte als Empfänger der Rente hinsichtlich der Sicherung der Verbindlichkeit besonders schutzwürdig.
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Sofern der Wert der vereinbarten Versicherungssumme geringer ist als der Kapitalwert der geforderten Rente, ist der Versicherer nur zur Zahlung eines verhältnismäßigen Teils der Rente verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 107 Abs. 1 VVG. Die Leistungsverpflichtung des Versicherers erweitert sich, wenn der Versicherungsnehmer für die von ihm zu leistende Rente dem Dritten gegenüber gesetzlich zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist, § 107 Abs. 2 Satz 1 VVG. Sie erstreckt sich nunmehr auch auf die Sicherheitsleistung. Sofern der Kapitalwert der Rente, der der Sicherheitsleistung zugrunde liegt, die Versicherungssumme übersteigt, so hat der Versicherer auch in diesem Fall nur einen verhältnismäßigen Teil der Sicherheitsleistung zu erbringen, § 107 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 107 Abs. 1.
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§ 107 VVG soll eine vorrangige Ausschöpfung der Versicherungssumme als Folge der Verpflichtung zur Rentenzahlung verhindern und den Dritten so schützen. § 107 Abs. 1 VVG soll vermeiden, dass der rentenberechtigte Dritte nach dem Ende der Leistungen des Versicherers infolge der Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers die Rentenzahlung nicht mehr erhält.
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Weiter soll Vorsorge getroffen werden, dass der Versicherungsnehmer nicht nach dem vollkommenen Verbrauch der Versicherungssumme den vollen Rentenbetrag selbst aufzubringen hat und durch diese Rentenzahlung gegebenenfalls wirtschaftlich zugrunde gerichtet wird.[3] Zur Verwirklichung dieser Schutzziele nimmt es § 107 VVG in Kauf, dass bei einer verhältnismäßigen Tragung der Rentenlast der Versicherungsnehmer schon hinsichtlich des ersten Rentenbetrages zur anteiligen Zahlung verpflichtet ist, obwohl er sich gegen das verwirklichte Risiko versichert hat und zu diesem Zeitpunkt die Versicherungssumme noch nicht erschöpft ist. Der Versicherungsnehmer hat die anteilige Rentenzahlung stets aufzubringen, obwohl die vereinbarte Versicherungssumme für die tatsächlich zu leistenden Rentenzahlung möglicherweise sogar ausreicht, falls der kalkulierte Barwert der Rente nicht erreicht wird. Ferner hat der Versicherer fortwährend einen verhältnismäßigen Teil der Rente zu zahlen, selbst wenn die Versicherungssumme schon erschöpft ist.[4] Aufgrund der Bedeutung des Schutzzweckes und der – wegen § 108 Abs. 1 VVG zwar eingeschränkten – Möglichkeit, die gesetzliche Regelung des § 107 VVG vertraglich anderweitig auszugestalten,[5] ist diese mögliche Unbilligkeit hinzunehmen.
Zur Vertiefung:
- Was ist unter der Verpflichtung zur Rentenzahlung zu verstehen?
- Was passiert, wenn die Versicherungssumme kleiner ist als der Kapitalwert der Rente?
- Gesetzliche Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Sicherheitsleistung
- Abänderbarkeit des § 107 VVG
[1] In Anlehnung an BGH NJW 1968, 1181.
[2] Zur Angemessenheit einer Geldrente bei irreversiblen Dauerschäden, Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, § 253 Rn. 58.
[3] Vgl. OGH VersR 1960, 1030, 1031; Lücke in Prölss/Martin, § 107 Rn. 5 mit Verweis auf BGH NJW 1980, 2524 („Der Geschädigte hat ein Interesse an fortlaufender verhältnismäßiger Beteiligung des VR an der Rentenleistung“).
[4] Siehe BGH VersR 1991, 172 f.; Lücke in Prölss/Martin, § 107 Rn. 5 „spekulatives Element“.
[5] Vgl. näher Langheid in Römer/Langheid, § 107 Rn. 19 ff.; Lücke in Prölss/Martin, § 107 Rn. 19.
Zitiervorschlag: Schulze Schwienhorst in Haftpflichtonlineportal, Stand 31.07.2016, C. Rn. x
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